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Rentengerangel, Irrtümer in Studien, Wirtschaftsweise und weshalb Sterbetafeln wichtig sind

Jeder irrt sich einmal. An manchen Stellen ist das jedoch mit weitreichenderen Folgen versehen. Ich habe mit mir gerungen ob etwas dazu schreibe. Ich will ja nicht immer meckern und oberlehrerhaft wirken. Andererseits ist es vielleicht interessant für die Leser. Für mich war es das. Also. Ganz kurz, ohne ein Fass aufzumachen der Sachverhalt.

Was ist geschehen?

Ich kann ja meinen Mund nicht halten wenn mir etwas merkwürdig vorkommt. Da hatte ein Mitarbeiter aus dem Büro der Wirtschaftsweisen auf Twitter einen Zeitungsartikel zur Rente für alle kommentiert und dabei u.a. erklärt das ja PKVler länger leben würden und dies zu Problemen führt [höhere RV-Beiträge um 0,x%]. Blogleser wissen das ich mich auch schon des öfteren mal mit der „Rentenfrage“ und Demographie beschäftigt habe und das konnte irgendwie nicht sein. Ich weiss(tm) ja, das die Kurven GKV/PKV was das zu erreichende Alter angeht sich m.E. angleichen. Also in die Vollen und angefangen zu diskutieren. Irgendwoher muss er ja die Information her haben. Entweder weiss er mehr als ich oder mein Riecher (mein Wissen) weist in die richtige Richtung.

Die Diskussionsgrundlage

Zum Diskussionsverlauf. Ich habe zuerst die Aussage mit den für mich dazu sinnvoll erscheinenden Mitteln selbst noch einmal geprüft. Ich habe mir die „Sterbetafel“ bei destatis angesehen und die Variante der PKV welche jährlich veröffentlicht wird. Mein Ergebnis: ich habe vermutlich Recht. Unterschied nur irgendwo bei 0,3 Jahren [also nichts]. Er hat gekontert mit einem Arbeitspapier aus dem Büro des Sachverständigenrates von Prof.Dr. Martin Werding bezüglich dieser „Rente für alle“ welcher sich z.T. wiederum auf Aretz/Werding/Christofzik bezieht welche z.T. die Auswirkungen der Migration berechnet haben. Außerdem auf die Daten zur Lebenserwartung der Beamten (Nieden/Altis) und die von Freiberuflern bei einer berufsständischen Vereinigung, der ABV. Das sind jedoch keine Rohdaten.

Das Resultat

Meine recherchierten Daten werfen andere Werte als in den Berechnungen der obigen Papiere verwendeten aus. Weshalb? Zum einen stellen Beamte und die schrumpfende Anzahl an Freiberuflern nicht alle PKVler dar. Da sind noch all diejenigen welche über der Beitragsbemessungsgrenze liegen. Zum zweiten sind die Daten der ABV durch eine Firma berechnet/verändert worden. Das ist eine „black box“. Aber das ist nicht das eigentliche Problem. Das Problem ist die Variante der Sterbetafel welche zum Einsatz gekommen ist. Was sind sie denn, diese Sterbetafeln? Aus der Definition bei destatis:

…..Bei einer Längsschnittbetrachtung werden alle Personen eines Geburtsjahrgangs (Kohorte) von der Geburt bis zum Tod betrachtet, so dass prinzipiell bekannt ist, wie viele Personen in jedem Jahr leben. Eine solche Längsschnitt- bzw. Kohortensterbetafel zeigt damit den spezifischen Sterblichkeitsverlauf und die Lebenserwartung eines Geburtsjahrgangs auf. Die Längsschnittbetrachtung setzt hierfür eine vollständige Beobachtungsreihe aller Altersjahre des entsprechenden Geburtsjahrgangs voraus und ist somit ein sehr aufwändiges Verfahren…….In die Querschnittsbetrachtung werden hingegen alle gestorbenen und lebenden Personen aus einem oder mehreren Kalenderjahren einbezogen und somit alle in dieser Periode gleichzeitig lebenden Geburtsjahrgänge betrachtet….

Es gibt also eine Kohortensterbetafel (Längsschnittbetrachtung) welche beispielsweise exakt und ausschließlich für diejenigen welche im Jahr 2017 geboren wurden angibt wie lange diese im  Durchschnitt noch leben werden. Die andere nennt man „allgemeine Sterbetafel“ und beinhaltet alle welche in 2017 „leben“ [Säugling bis 100jährigem] und rechnet von deren Durchschnitt hoch. Für diese gibt es noch folgende Einschränkung:

Die so genannte Querschnitts- oder Periodensterbetafel bildet die Sterblichkeitsverhältnisse der gesamten Bevölkerung während eines bestimmten Zeitraumes und damit auch die dort herrschenden Bedingungen ab, wie beispielsweise die außergewöhnlich starke Grippewelle zum Jahreswechsel 1969/70. Die in einer Querschnitts- oder Periodensterbetafel ausgewiesene Lebenserwartung entspricht deshalb der durchschnittlichen Zahl von weiteren Jahren, die eine in einem bestimmten Alter lebende Person nach den im Beobachtungszeitraum geltenden Sterblichkeitsverhältnissen noch leben würde.

Werding und Aretz (und alle darauf aufbauende Arbeiten) haben bei den Arbeiten nur einen Teil der PKV-Versicherten betrachtet – weshalb auch immer[sic], denn die PKV macht das für alle zusammen bereits ebenfalls. Ausserdem wurden vermutlich bei diesen indirekten, kolportierten Berechnungen (ABV u. Beamte) die allgemeinen Sterbetafeln verwendet oder auch nicht, das ist bei ABV nicht ganz eindeutig, da undokumentierte BlackBox. Das sind also bereits Äpfel und Birnen. Der Unterschied des zu erwartenden Lebensalters zwischen den Sterbetafeln liegt bei rd. 3-5 Jahren in welchen man lt. Kohortensterbetafel länger lebt.

Das wirft dann die Frage auf „welche Tafel ist richtig“. Für die gegebene Untersuchung und Behauptung von Weidling das ab dem Jahr 2080(!) Beamte (m.E. um 3 Jahre) länger leben und deshalb ein Problem der Rentenversicherung eintreten würde ist die Kohorte entscheidend. Rente ab 67 angenommen ist das Jahrgang 2013ff.. Es gelten sicher nicht 60 Jahre lang die heutigen Durchschnitts-Sterblichkeitsverhältnisse. Wie sich Sterblichkeiten ändern kann man sehen wenn man sich bereits in der Kohorten-Sterbetafel die Veränderungen nach 10 Jahren ansieht. Destatis rechnet (alle, Kohortensterbetafel) das 2010 geborene +0,38 Jahre länger leben als 2000 geborene. Der Vorteil 2000 im Verhältnis zu 1990 lag noch bei +0,9 Lebensjahren. 2010-2017 dann von 84,15 zu 84,34 (+0,19). Der Zuwachs schrumpft also und letztenendes auch der Vorsprung der PKV-Versicherten. Unserem Alter sind natürliche Grenzen gesetzt welchen wir uns asymptotisch annähern. Wenn man noch die Auswirkungen von mehr oder weniger Grippewellen eines Jahres ins Jahr 2080 extrapoliert wird das Ergebnis dadurch auch nicht exakter.

Welche Größenordnung hat der Fehler?

Ich kann hier nicht zwei Studien komplett nachrechnen. Der Fehler aus meiner Ansicht nach unkorrekter Datenbasis ist nicht unerheblich. Zum einen wird sachlich [im Jahr 2080] der Unterschied PKV/GKV-Mitglieder bei nahe 0 liegen. Rechne ich 67 Jahre als Rentenbeginn und 90 Jahre Tod sind das 23 Jahre Rentenbezug. 3 Jahre länger sind grob 15% mehr auf rd. 23% der Bevölkerung und rd 24%RV-Beiträge. Also 0,x% (aus der Hüfte geschätzt 0,2%-0,3% ?) geringere RV-Beiträge wenn man sich die Berechnung durch Werding ansieht bzw. schlicht die Aussage das sich keine Änderung durch unterschiedliche Lebenserwartungen ergibt, da diese nicht existent sein werden. Das halte ich für eine valide Quantifizierung/Schlussfolgerung. Es ist eine absolute Betrachtung ausserhalb der Berechnungsformel. Zum anderen – da bin ich mir nicht so sicher – steigt der RV-Beitrag ggfs. insgesamt. Das hängt jedoch von der Berechnung ab. Das rechne ich – bei aller Liebe – nicht nach. Das ich das hier nachkontrolliert und einen Fehler bei den Ursprungsdaten gefunden habe ist bereits ungewöhnlich. Das macht im Normalfall niemand. Solche Fehler ganz an der Basis werden einmal gemacht, immer wieder zitiert und über Jahre hinweg bis ans Ende durchgeschleppt. Eine potentielle Unsicherheit gibt es natürlich. Man [ich] kann sich ja irren. Wer weiß – die Sterbetafel der PKV mag auch eine allgemeine sein. Es ist m.E. eine Blackbox und wir wissen letztlich nicht wie eine Kohorten-Sterbetafel PKV aussehen würde, da diese Art Sterbetafel komplizierter ist. Die asymptotische Annäherung an ein gedachtes „Maximalalter“ für Menschen ist m.E. jedoch eine logische Entwicklung, so das ich mir darüber nicht den Kopf zerbreche.  Ich wollte an dieser Stelle nur noch einmal gezeigt haben wie ein kleiner Baustein in einer Berechnung einen großen Unterschied machen kann.

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